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Neues zur Entstehung und Bedeutung des Bischofsstädtchens Jockgrim

Vortrag von Dr. Dieter Rasimus am 26. August 2016 im Ziegeleimuseum Jockgrim

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Das Buch „Die Pfalz und die Pfälzer“ von August Becker gilt bis heute als Klassiker der pfälzischen Landeskunde. Es erschien im Erstdruck 1857, zuletzt in 7. Auflage 2005. Becker gab darin eine fast schwärmerische Kurzbeschreibung des Jockgrimer Hinterstädtels: „Jockgrim, ein uraltes Städtchen mit Mauern und Türmen, liegt malerisch auf einer schmalen Erdzunge auf dem alten Hochufer des Rheines; vom Schloß aus genossen die speyerischen Amtleute eine schöne Aussicht nach dem Rhein und den in der Ferne blauenden Bergen.“

Nun ist seine Altersangabe „uralt“ sicher übertrieben. Sie mag von dem römerzeitlichen Nachbarort Rheinzabern beinflusst worden sein, den er ebenfalls als „uralt“ bezeichnet. Heute kennen wir das wahre Alter des Städtchens ziemlich genau. Seine erste urkundliche Erwähnung reicht in das Jahr 1366 zurück. Damals bestätigte Kaiser Karl IV. dem Speyerer Bischof Lambert von Born den Besitz des „oppidum Jochgrim“. Eine wenig spätere deutsche Ausfertigung dieses Dokuments enthält die Übersetzung „das Stättlin Jochgrim“. Zu dieser Zeit war seine Bevölkerung nachweislich noch nicht über die Festungsmauern hinausgewachsen. Das kaiserliche Diplom bezieht sich daher auf das noch heute befestigte sog. Hinterstädtel. Dieser älteste Teil Jockgrims kann somit auf eine 650-jährige urkundliche Tradition zurückblicken. Die Ummauerung und Stadterhebung dürfte - das habe ich in meiner Ortschronik von 1992 ausführlich dargestellt - mit hoher Wahrscheinlichkeit nur wenige Jahre zuvor unter dem Städtegründer Bischof Gerhard II. von Ehrenberg erfolgt sein, in den Jahren zwischen 1360 und 1363.

Zu diesem 650-jährigen Jubiläum soll auch das hier ausgestellte Stadtmodell einen Beitrag leisten. Es veranschaulicht die Stadt und bischöfliche Burg Jockgrim für die Zeit um 1764. Hier ein Vergleich des Modells mit einem Luftbild Jockgrims von 1991 aus der gleichen Perspektive.

Jockgrim 1991 und 1764

Das Modell zeigt die bauliche Situation der Festungsanlage vor dem Untergang der bischöflichen Herrschaft in der Französischen Revolution, dem Abbruch der Burg, des Schlosses und der Wehrtürme. Anhand von Plänen und Beschreibungen aus dem Landesarchiv Speyer sowie einer Reihe von Fachwerk- häusern, die im 18. Jahrhundert errichtet wurden und noch heute bestehen, war es möglich, das Erscheinungsbild des Städtchens und der Bischofs- burg zu rekonstruieren, wie es sich noch zweieinhalb Jahrzehnte vor dem Beginn der Revolution darbot. Im Rahmen des Hinterstädtelfestes vom 2. - 4. September wird das Modell auch in der alten Kirche St. Dionysius ausgestellt.

Die kaiserliche Urkunde von 1366 und die noch heute in der Mundart geläufige Bezeichnung „Hinnastädtl“ sind übrigens nicht die einzigen Belege für Jockgrims frühere Rechtsstellung als Stadt. Als sich 1525 die oberrheinischen Bauern gegen ihren bischöflichen Landesherrn erhoben, mussten sie nach dem Scheitern des Aufstandes einen Unterwerfungsvertrag unterschreiben. Auch die Einwohner Jockgrims waren dazu verpflichtet. Ihre Vertreter bestätigten die Unterwerfung mit einem angehefteten Wachssiegel, das die Umschrift „Insigel Statt Jochgrimm“ trug, also „Siegel der Stadt Jochgrimm“. Dazu nachher noch mehr. Einen weiteren Nachweis liefert ein Gerichtssiegel aus dem Jahre 1753. Darin wird der Ort unter dem amtlichen, aber historisch falschen Namen „Jockerheim“ zum letzten Mal als Stadt bezeichnet.

Es ist also klar erwiesen, dass Jockgrim bis zum 18. Jahrhundert rechtlich als Stadt galt. Aber was zeichnete diese Stadt vor den Dörfern der Umgebung aus? Welche städtischen Rechte besaß sie, und worin äußerten sich diese? Und vor allem: Welches Interesse hatte der Bischof von Speyer, gerade diesen Ort zur Stadt zu erheben?

Jockgrim war damals, wie in späteren Jahrhunderten, seiner Einwohnerzahl und seiner Wohnfläche nach nicht mit Städten wie etwa Landau, Germersheim, Speyer oder Lauterburg zu vergleichen. Selbst im Vergleich mit den benachbarten Dörfern wirkte das Städtchen recht bescheiden: Nach dem frühesten Einwohnerverzeichnis von etwa 1470 lebten in Jockgrim 46 erwachsene Männer, damit kaum mehr als in dem kleinen Dorf Hayna mit 44, aber weit weniger als in den in den Nachbardörfern Hatzenbühl mit 60, Rheinzabern mit 107, Rülzheim mit 131 oder Herxheim mit 219 männlichen Einwohnern. 1530 war seine Bevölkerung mit 65 Erwachsenen in 36 Haushalten sogar geschrumpft. Wie schon zwei Jahrhunderte zuvor lebten die Einwohner ausschließlich innerhalb der Festungsmauern. Damit entsprach auch seine räumliche Ausdehnung eher einem kleinen Dorf als einer städtischen Siedlung.

Die Stadt des Mittelalters besaß neben einer Ringmauer mit Wehrtürmen gewöhnlich das Recht, Wochen- oder Jahrmarkt abzuhalten, wie die bischöflichen Städte Lauterburg, Udenheim (also das heutige Philippsburg) oder (Ober-) Deidesheim. In der Regel wurde auch dieses Marktrecht dem Ortsherrn vom König verliehen.Im Falle Jockgrims ist aber weder die Verleihung eines Marktrechts überliefert, noch gibt es Hinweise auf einen Marktplatz.

Im Zentrum des Stadtrechts standen ferner die persönliche Freiheit der Bürger, ihr Recht auf Eigentum und das daraus abgeleitete Erbrecht. Vor allem aus diesen Rechten entstand das Sprichwort „Stadtluft macht frei“. Im Kern bedeutete es, dass hörige Landbewohner, die in die Stadt übersiedelten, nicht mehr als Unfreie galten, also keine Fron- oder Herrendienste mehr leisten mussten. Andererseits konnten sie weder durch den Stadtherrn noch durch den städtischen Rat zum Bleiben gezwungen werden. Sie durften ihren städtischen Wohnsitz jederzeit wieder verlassen. Die wesentlichsten Elemente der sog. Bürgerfreiheit waren somit die Befreiung von persönlichen Herrendiensten, das Besitzrecht, das Erbrecht, der freie Zuzug und der freie Wegzug aus der Stadt. Wie stand es damit in Jockgrim und vergleichsweise in den umliegenden bischöflichen Dörfern?

In den Jahren 1411 und 1414 holte der Speyerer Bischof in seinem südlichen Hochstift bei den Schultheißen, Bürgermeistern, Gerichtsschöffen und den übrigen Gemeindeangehörigen sog. Kundschaften (Auskünfte) ein, wie zuziehende Fremde in der Vergangenheit in diesen Orten rechtlich behandelt wurden. Für Rheinzabern, Rülzheim, Herxheim, Hayna, Hatzenbühl und Schaidt lautete das Ergebnis übereinstimmend, dass sie wie andere Leibeigene des Bischofs Frondienste leisten mussten und nicht ohne Erlaubnis wegziehen durften. Ihr Eid band sie an die sog. Bauernschaft. Wie stand es damit im Städtchen Jockgrim? Hier waren Zuziehende den gleichen Einschränkungen unterworfen. Trotz ihrer „Bürgerschaft“ hatten sie dem bischöflichen Ortsherrn Frondienste zu leisten, und sie besaßen auch kein freies Wegzugsrecht. Der mittelalterliche Grundsatz „Stadtluft macht frei“ galt nicht in Jockgrim. In dieser Hinsicht hatte das Städtchen also die gleiche Rechtsstellung wie die Nachbardörfer. Es scheint somit, als wenn sich Jockgrim einzig durch sein äußeres Erscheinungsbild vom Umland unterschieden hätte - durch seine Stadtmauer, seine Türme und Tore. Doch dem war nicht so.

Seit 1626 sind mehrfach Auseinandersetzungen der Jockgrimer Bürgerschaft mit dem Burgvogt im Schloss wegen neuer Frondienste und Abgaben überliefert. So erließ beispielsweise Bischof Damian Hugo im Jahre 1721 eine neue Salz- und Fronordnung, die auch für Jockgrim gelten sollte. Der Form nach „unterthänig und pflichtschuldigst“, aber entschieden in der Sache wiesen der Schultheiß, die Gerichtsschöffen und der Bürgermeister „namens des Gemeinen Städtleins Jockgrim“, wie es in ihrem Brief an den geistlichen Landesherrn hieß, auf die besondere Rechtsstellung der Bürgerschaft hin. Wie Lauterburg, Kirrweiler, Deidesheim und andere Städte sei Jockgrim ein „beschlossener“, d.h. befestigter Ort und könne daher wie diese nicht zu beliebigen neuen Frondiensten oder Abgaben herangezogen werden, sondern nur zu solchen, zu denen sie nach alter Tradition verpflichtet seien. Diese Rechtsgewohnheit, die sie als „uralte Freiheiten oder Gerechtigkeiten“ bezeichneten, wiesen sie mit einem Auszug aus ihrem „Gerichts- oder Lagerbuch" von 1626 nach. Das Dokument regelte in allen Einzelheiten die Arbeiten der Bürger auf den herrschaftlichen Äckern und Wiesen und solche, die mit Pferd und Wagen oder mit dem Karren zu leisten waren. Entscheidend war dabei, dass der bischöfliche Burgvogt für diese Dienste „mit Pferd oder der Hand“ bestimmte Lebensmittel oder genau festgelegtes Frongeld zu entrichten hatte. Die Bewohner Jockgrims waren somit nicht zu den ungemessenen Frondiensten der dörflichen Leibeigenen verpflichtet, sondern nur zu gemessenen, d.h. zu den traditionell genau festgelegten und entlohnten Diensten. Darin unterschied es sich von den umliegenden Dörfern, die jederzeit zu neuen Abgaben oder Diensten herangezogen werden konnten.

Roter Weg, Ziegelhuette

Unter den übrigen im Gerichtsbuch von 1626 genannten alten Regelungen sind nun für unsere Untersuchung besonders der Bereich des Bauwesens und die Fronfahrten mit dem Fuhrwerk interessant, die im Zusammenhang mit der Jockgrimer Z i e g e l h ü t t e genannt werden. Heute steht an ihrer Stelle das Nachfolgegebäude des früheren „Kutscherhauses“.

Hier beginnt der sog. Rote Weg, dessen Name an die Ziegelbruchstücke erinnert, die man in dem tiefen Wiesengrund als Auffüllmaterial verwendete. In der Neuzeit verschwand deren rote Farbe allerdings unter großen Betonplatten.

Der Maler Albert Haueisen konnte das Ausssehen der Ziegelhütte 1888 noch in einer Skizze festhalten und eine undatierte Zeichnung gibt einen Eindruck von ihrem inneren Aufbau um 1880. 

Lage der Ziegelhuette nach einer Gemarkungskarte von 1838Im Gerichtsbuch von 1626 wird von ihr Folgendes überliefert: „Item vor Alters seindt die Jockhgrimer schuldig geweßen, unserem gnädigsten Heren zu den bawen (d.h. Bauten) zu Speyer oder Philippsburg jährlich und nit mehr alß von 2 brandt (Brände) Ziegel und Stein von der Ziegelscheuer alhie in frohn uff den Rhein im Speich in d(ie) Schiff zu lieffern schuldig... Item den Kalch, Ziegel undt gebrochene stein von der Ziegel scheuer einzuführen, gleichergestalt den Sandt zum bawen zu führen. Wegen jeder farth solle von der Burgvogtey Jockhgrim gegeben werden den wagen 12 pfennige, den karch 6 pfennig. - Undt ist die Gemeindt in underthenigster Hoffnung, kein weithere Frohn bey ermelter (genannter) Ziegelscheuer den bauernleuthen nit uffzuladen, sondern bey hergebrachten alten gerechtigkeiten erhalten und beruhen laßen.“

Um 1626 wurde also auf eine alte Tradition verwiesen, nach der die herrschaftliche Ziegelhütte in Jockgrim für den Bedarf des Speyerer Bischofs an Backsteinen und an Dachziegeln von überörtlicher Bedeutung war. Dazu brauchte dieser die Transportdienste der Jockgrimer. Die Produktionsleistung der Ziegelhütte muss recht hoch gewesen sein, wenn damit Bauvorhaben in Philippsburg und selbst in Speyer per Schiff beliefert wurden.Genannt werden hier 2 Brände pro Jahr. Jeder Brand dauerte etwa 3 Wochen und ergab in der Regel ca. 14 000 Dachziegel und Backsteine. Hier ist also von einer jährlichen Gesamtproduktion der Jockgrimer Ziegelhütte von ungefähr 28 000 Ziegeln und Steinen die Rede.

Doch wann entstand diese Verpflichtung zu Ziegelfuhren? Was ist mit der Zeitspanne „vor Alters“ gemeint? Es drängt sich der Gedanke auf, dass diese Jockgrimer Ziegelproduktion auch etwas mit der Errichtung der Stadtmauer und der Erhebung Jockgrims zur Stadt um 1360-63 zu tun haben könnte. Dazu wäre allerdings nachzuweisen oder wahrscheinlich zu machen, dass die örtliche Ziegelscheuer bereits um diese Zeit bestanden hat.

Ein direkter geschichtlicher Beleg ist nicht überliefert. Aber es gibt dafür deutliche Hinweise. In einem Brief an das Speyerer Domkapitel vom Jahre 1439 erwähnen die Kirchenschöffen Jockgrims die Hofstätte der „a l t e n Ziegelscheuer“ nahe der Flur „Kummisbruch“. Sie lag also an der Stelle der bis heute bekannten Ziegelhütte. Da sie als „alt“ bezeichnet wird, ist es durchaus möglich, dass sie bereits um 1360-63 bestand. Dies bestätigt auch die Erforschung der örtlichen Familiennamen. Im 15. und 16. Jahrhundert wird in Jockgrim der Familien- und Beiname „Ziegler“ auffällig oft erwähnt. So ist schon 1414 ein Hans Ziegler bezeugt. Den Familiennamen hatte er geerbt und wohl auch das damals häufig vererbte Handwerk übernommen. Sein Vater könnte also durchaus Pächter der Ziegelhütte gewesen sein, als Jockgrims Festungsmauern errichtet wurden. Eine Ziegelproduktion schon im 14. Jahrhundert oder früher wäre auch aus einem weiteren Grund nicht überraschend. Die Ziegelscheuer wurde abseits der römischen Tonlager in der Nähe des Hochuferrandes errichtet, der hier „Lettenberg“ heißt. Dieser Flurname lässt auf Tonvorkommen schließen, die für die Herstellung von Backsteinen und Dachziegeln geeignet waren. Es verdichtet sich somit der Eindruck, dass die Backsteine der heutigen Stadtmauer in der Ziegelscheuer des 14. Jahrhunderts entstanden waren und die Bevölkerung den Transport übernommen hatte. Die Ziegler und die Maurer dürften der Einwohnerschaft angehört haben. Für diese Annahme spricht der damals erbliche Familienname Ziegler.

Einen deutlichen Hinweis darauf gibt aber vor allem das älteste Stadtwappen Jockgrims von 1525. Seine Bedeutung war bis heute ein Rätsel. Es hängt als Wachssiegel an der erwähnten Urkunde des Speyerer Bischofs von 1525 und wird im Straßburger Departementarchiv aufbewahrt. Die Umschrift lässt sich mit etwas Mühe als „Insigell * Statt * Jochgrimm“ lesen, im Zentrum ist das fragliche Wappenbild zu erkennen. Auf meine Anfrage im Landesarchiv Speyer erhielt ich vor Jahren folgende schriftliche Auskunft: „Für die von Ihnen vorgelegte Siegelzeichnung konnte hier kein Beleg gefunden werden. Die Zeichnung ist nicht leicht zu erklären; sie hat Ähnlichkeit mit einem Beil, doch ist der Stiel eher einer Fahnenstange ähnlich und die Schneide ungewöhnlich. Um ein landwirtschaftliches Gerät (Pflugschar) handelt es sich wahrscheinlich nicht.“ Die Deutung blieb also im Dunkeln.

Seither kamen mir jedoch bildliche Darstellungen in die Hände, die diese Figur in neuem Licht erscheinen lassen. Es handelt sich um Bilder aus dem Zieglerhandwerk des späten Mittelalters.

Ziegler Wappen

Besonders interessant sind eine Szene im Ständebuch des Jost Amman von 1568 (linkes Bild), die einen Ziegler bei der Dachziegelherstellung zeigt, und eine Abbildung des Zieglers Manach von Ravensburg mit seinem Wappen in einem Wappenbuch. Beide Bilder enthalten als Handwerksgerät einen sog. Streichrahmen. Er diente der Herstellung von Dachziegeln. In diesem Holzrahmen wurde ein Tonklumpen verteilt und glattgestrichen.

Ziegelproduktion RahmenNach dem Antrocknen hob man den Rahmen mit seinem Stiel vorsichtig an und legte ihn mit Hilfe eines zu unterst liegenden Tuches über eine gewölbte Modelform (vielleicht die hier ocker eingefärbte Form). So entstanden Dachziegel, die man sich als halbierte Hohlzylinder vorstellen kann. Die „Nase“ an der oberen Kante diente auf verschiedene Weise der Befestigung an den Dachlatten. Danach wurden die Ziegel zunächst zum Trocknen in Regalen untergebracht, dann in Öfen gebrannt. Gute sog. Ziegelstreicher sollen es mit ihren Gehilfen während einer 12-Stundenschicht auf bis zu 1500 Ziegelrohlinge gebracht haben. Dabei übten sie diese Tätigkeit nur von März bis Oktober aus und nicht als zunftfähiges Handwerk, sondern im bäuerlichen Nebenerwerb oder als Tagelöhner. 

Ziegel Dach 14 JHVorformen dieser Dachziegel lassen sich seit dem 11. Jahrhundert an Klöstern südlich der Alpen nachweisen, seit dem 14. Jahrhundert verbreiteten die Städte diesen Typus nach Norden. Hier das Vordach eines italienischen Klosters aus dem 14. Jahrhundert.

Da die halben Hohlziegel abwechselnd mit der Wölbung nach oben und nach unten verlegt wurden, blieben sie auch nicht vom Volkswitz verschont. Wohl in Anspielung auf gewisse Zustände in manchen Klöstern wurde dieser sog. Klosterziegel mit der Bezeichnung Mönch-Nonne bedacht.

Ziegel Venedig

Noch heute beherrscht dieser Ziegel das Bild vieler südeuropäischer Städte, wie hier z. B. in Venedig.

 

Vergleicht man nun das Wappenbild des Stadtsiegels von 1525 mit den beiden dargestellten Ziegelrahmen, so sind die Ähnlichkeiten unverkennbar:

Vergleich Wappenbild Stadtsiegel

Alle drei besitzen eine rechteckige Form mit einer Art Nase in der Mitte der Oberkante sowie einen Stiel an der rechten unteren Ecke, der als Handgriff dient. Das Jockgrimer Stadtwappen von 1525 stellt also mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Handwerksgerät der Ziegler dar, einen sog. Streichrahmen, der für die Herstellung von Dachziegeln der Form „Mönch-Nonne“ gedacht war. Mit diesem „Klosterziegel“ dürften auch die meisten Häuser des neuen Städtchens Jockgrim gedeckt gewesen sein.

Übrigens bietet seine Verwendung als Wappenbild auch einen Anhaltspunkt für die Entstehungszeit des Stadtsiegels von 1525. Die Forschung hat nämlich festgestellt, dass diese Ziegelform bei uns seit etwa 1450 verschwand. Sie wurde von den leichteren und billigeren Flachziegeln verdrängt, den sog. Biberschwanz-Ziegeln. Das Wappenbild von 1525 weist somit in die Entstehungszeit der Stadt Jockgrim um 1360-1363 - es dürfte ihr erstes städtisches Wappen gewesen sein.

Welche neue Erkenntnis lässt sich aus diesen Ergebnissen gewinnen? Im ältesten Stadtsiegel Jockgrims wurde die Ziegelherstellung besonders hervorgehoben, symbolisiert durch den Streichrahmen eines Zieglers als Wappenbild. Es liegt nahe, dass damit an die Anfänge der städtischen Entwicklung, an die Errichtung der Stadtmauer und den Ausbau des neuen Städtchens errinnert wurde. Die Bürgerschaft indentifizierte sich offenbar mit dem örtlichen Zieglerhandwerk, weil auf ihm das Gemeinschaftswerk der Stadtbefestigung beruhte. Initiator konnte niemand anders als der Bischof von Speyer als Orts- und Landesherr gewesen sein. Er bot ihnen Schutz und Sicherheit hinter Festungsmauern gegen eine vertragliche Festlegung ihrer Dienste und Abgaben. Trotz ihrer Leibeigenschaft betrachteten sie diese Regelungen als „Gerechtigkeiten und Freiheiten“, als eine Form „geschützter Freiheit“.

Das Befestigungswerk lag sicher nicht nur in den Händen der wenigen Dorfbewohner Jockgrims. Wir wissen, dass Jockgrim vor seiner Stadterhebung eine Siedlung ohne eigene Gemarkung war. In meiner Ortschronik habe ich nachgewiesen, dass es erst wenige Jahre vor 1200 auf der Gemarkung des bischöflichen Ortes Schweinheim gegründet worden war. Historisch bezeugt ist auch, dass die Bevölkerung Schweinheims im 14. Jahrhundert in das neu erbaute Städtchen übersiedelte und nur ihre kleine Pfarrkirche zurückließ. Sie steht bekanntlich noch heute als Wallfahrtskapelle im „Schweinheimer Feld“. Es ist daher undenkbar, dass sich die Einwohnerschaft von Schweinheim nicht auch am Bau der Stadtmauer Jockgrims beteiligte, zumal das Städtchen bald darauf im Besitz ihrer Gemarkung und ihrer Pfarrei St. Dionysius war.

Eine ganz andere Frage ist, welche Bedeutung diese Stadtgründung für den Bischof von Speyer hatte, zu der er als Landesherr 1366 sogar die Genehmigung des Kaisers benötigte. Dass er sich hier um 1390 eine Wasserburg mit einem Schloss errichten ließ, unterstreicht noch sein besonderes Interesse an diesem Ort. Die geschützte Lage der Siedlung auf einem Rheinhochufersporn genügt als Erklärung sicherlich nicht. Ebensowenig ist hinreichend, dass hier bereits 1176 eine „curia principalis“ lag, also ein zentraler Wirtschaftshof des Bischofs von Speyer. Beide Merkmale begünstigten höchstens die spätere Stadtgründung.

Suchen wir nach einem größeren, einem territorialpolitischen Zusammenhang! Dabei ist zu bedenken, dass es im 14. Jahrhundert noch keine „Länder“ als flächenhafte Gebilde mit festen Grenzen gab. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation bestand vielmehr aus zahlreichen, oft sehr kleinen Herrschaftsgebieten. Um ihre Grenzen und um Leibeigene, die in das Territorium des benachbarten Landesherrn flüchteten oder dort heirateten, kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen.

Mit diesem Problem sah sich auch der Bischof von Speyer konfrontiert. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts, also kurz vor der Stadtgründung Jockgrims, war er im Bienwaldraum offensichtlich bemüht, sein Territorium gegen ein Hineinregieren des banachbarten Pfalzgrafen von Heidelberg zu schützen. 

Territoriale Situation 14 JHDies zeigt ein Blick in die damalige territoriale Situation. Historische Atlanten aus der Pfalz und aus Baden veranschaulichen diese und machen seine Befürchtungen wie seine Gegenmaßnahmen verständlich. Dazu drei Beispiele. Die Karte gibt vereinfacht in gelber Farbe das bischöfliche Herrschaftsgebiet um 1366 wieder. Die graue Farbe stellt das Gebiet des Pfalzgrafen, des späteren Kurfürsten von der Pfalz dar. Bei den weißen Flächen handelt es sich um Ländereien anderer Herren, die hier außerhalb unserer Betrachtung bleiben. Das Territorium des pfälzischen Kurfürsten muss man sich als Ergebnis einer expansiven Politik vorstellen, die von Heidelberg (rechts oben) ausgehend zwischen 1329 und 1410 nach Süden und über den Rhein ausgriff und bald an die Herrschaftsgrenzen des Bischofs von Speyer stieß. Wie im Bienwaldraum um Jockgrim sah sich der geistliche Landesherr offenbar auch um Deidesheim und Udenheim von der erstarkten Kurpfalz bedrängt. Denn etwa zeitgleich mit Jockgrim ließ er Oberdeidesheim um 1360 durch Stadtmauern sichern, und Udenheim wurde schon bald nach 1338 mit Festungsmauern umgeben und zur Stadt erhoben.

Doch welche Rolle konnte ein Städtchen wie Jockgrim in dieser Territorialpolitik des Speyerer Bischofs spielen? In Oberdeidesheim und in Udenheim wurden nach deren Stadtgründung die Wirtschaft und die Verwaltung des umliegenden speyerischen Gebietes seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts neu organisiert. Und so geschah es auch in Jockgrim. Die um 1390 im Anschluss an das Städtchen errichtete Bischofsburg mit Schloss wurde zum Amtssitz eines Verwaltungsbeamten bestimmt, der „Keller“, später „Burgvogt“, hieß. Er war für den nördlichen Bezirk des Oberamtes Lauterburg zuständig. Seine Einahmen hatte er dem Faut in Lauterburg abzuliefern. Zu dieser sog. Amtskellerei Jockgrim (oder Unteramt Lauterburg) gehörten seit dem 15. Jahrhundert neben Jockgrim die Orte Rheinzabern, Rülzheim, Herxheim, Herxheimweyher, Hayna und Hatzenbühl. Die Leibeigenen dieser Dörfer hatten ihre Abgaben in die bischöflichen Speichergebäude nach Jockgrim zu liefern. Dass sie hier auch zu Frondiensten verpflichtet waren, zeigen noch heute die Flurnamen Herxheimer, Jockgrimer, Rülzheimer und Weyherer Fronwiese. Außerdem mussten sie hier erscheinen, wenn ein neu gewählter Bischof ihren Huldigungseid (Treueid) entgegennahm.

Eine anschauliche Schilderung einer solchen Huldigungsreise des Bischofs von Speyer nach Jockgrim ist aus dem Jahre 1560 erhalten.

Modell Jockgrim 14. JH

Im heutigen Sprachgebrauch wiedergegeben lautet der Text: „Am folgenden Tag, dem 14. August 1560, reiste der Bischof mit seinem berittenen Gefolge frühmorgens nach Rheinsheim und setzte dort mit einer Fähre über den Strom. Um 11 Uhr erreichte er von Norden kommend das „stätlin Jogkgrim“. Vor dem verschlossenen Stadttor wurde er vom Faut des Oberamtes Lauterburg empfangen. Die Begrüßung war freundlich, aber der neue Bischof wurde zunächst noch nicht eingelassen. Erst musste er den Nachweis rechtmäßiger Wahl durch das Speyerer Domkapitel erbringen, worauf der Lauterburger Oberamtmann versicherte, ihn wie den verstorbenen Bischof als „rechten Herrn anzuerkennen, auf- und anzunehmen und auch die gebührende Huldigung zu leisten“. Nun stand der Öffnung des „Gatters“ nichts mehr im Wege.

Modell Jockgrim 14 JH

Um 14 Uhr versammelten sich dann die „Untertanen“ der unteren Dörfer des Lauterburger Amtes, die „Hintersassen“ und „Zugewandten“ aus Jockgrim, Rheinzabern, Rülzheim, Hayna, Hatzenbühl, Herxheim und Herxheimweyher im Schlosshof.

Nachdem sich Bischof Marquard auf einer Bank auf den „Staffeln“ des Schlosses niedergelassen hatte, gelobten sie, „vor Gott und den Heiligen als Angehörige und Hintersaßen des Stifts Speyer dem Hochwürdigen Fürsten und Herrn, Herrn Marquarden, erwählten Bischof zu Speyer und Probst zu Weißenburg, getreue, hold und gehorsam zu sein. Dann ergriff der alte Schultheiß von Herxheim das Wort, indem er dem neuen Landesherrn ein glückliches Regieren wünschte und ihn des guten Willens seiner Untertanen versicherte. Um diese Ergebenheit symbolhaft zum Ausdruck zu bringen, erschien eine als Stier verkleidete „gehörnte Jungfrau“. Mit einem „Krenzlin“ um die Hörner und „einem neuen Strigk umb den Hals“ trat das Mädchen vor den Bischof, überreichte ihm als Geschenk „etliche Karpffen“ und sprach für alle die Bitte aus, ihnen ein „gnediger Herr zu sein“. Bischof Marquard dankte und drückte den Anwesenden sein Wohlwollen aus. Darauf bestätigte er die anwesenden Schultheißen in ihren Ämtern, indem er ihnen die abgelieferten Dienststäbe zurückgeben ließ und nahm schließlich auch dem amtierenden Jockgrimer Burgvogt ... und dem männlichen Schloßgesinde das übliche „Handgelübde“ ab. Nach diesen Amtshandlungen setzte der Bischof in einem „Wagen“ seine Reise nach Lauterburg fort. Hier hatte er die Huldigung der Einwohner Schaidts und der übrigen oberen Dörfer des Lauterburger Amtes entgegenzunehmen, die zwischen der Lauter und der Seltz lagen.“

So weit dieser Bericht aus dem Jahre 1560.

Die geschilderte Szene macht noch einmal deutlich, daß die Jockgrimer Einwohner weder die persönlichen Freiheits- noch die politischen Selbstverwaltungsrechte der großen Bischofsstädte besaßen. Trotz der Ummauerung ihres Ortes und seiner Bezeichnung „Stadt“ blieben die Einwohner leibeigene Untertanen des Speyerer Bischofs. Aber sie konnten sich als sog. Bürgerschaft mit Hilfe alter Sonderrechte erfolgreich gegen neue Dienste und Abgaben wehren.

Mit der Festungsanlage wuchs die politische Bedeutung Jockgrims. Das Städtchen stieg zu einem Verwaltungszentrum innerhalb des Oberamtes Lauterburg auf und wurde Sitz eines bischöflichen Landgerichts. Die Flurnamen Galgenäcker am Hatzenbühlerweg und Hochgericht weiter östlich sowie die überlieferten drei unterirdischen Gefängnisse erinnern an die hohe und niedere Gerichtsbarkeit des bischöflichen Burgvogtes. Das Schloss, dessen Amtssitz, diente dem Bischof auf Huldigungsreisen und bei Konflikten mit der Speyerer Bürgerschaft als zeitweilige ländliche Residenz. Das Domkapitel suchte hier sogar einmal Zuflucht, als in Speyer die Pest wütete.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Bei der Stadterhebung Jockgrims war nicht an die Gründung eines Städtchens mit Wochen- und Jahrmarkt gedacht, nicht an die persönlichen Freiheits- und politischen Selbstverwaltungsrechte seiner Bürger. Das bischöfliche Interesse galt vielmehr der Errichtung eines Amtsstädtchens, eines Verwaltungssitzes für das untere Amt Lauterburg im nördlichen Bienwaldbereich. In gewisser Weise knüpfte Jockgrim an diese Jahrhunderte alte Tradition an, als es 1972 Verwaltungssitz einer Verbandsgemeinde wurde - allerdings nicht zum Wohl einer Obrigkeit, sondern zum Nutzen der Bevölkerung.

In den Wirren der Französischen Revolution ging der bischöfliche Obrigkeitsstaat unter. Im Ortsbereich Jockgrims zerschlugen die französischen Jakobiner 1794 nachweislich alle Kreuze, und die Bischofsgüter wurden als „französisches Nationaleigentum“ versteigert. Nach der Revolution fielen dann ab 1800 die Festungstürme, die Burgmauern und das Bischofsschloss. An dessen Stelle entstand 1843 - wie ein Symbol des gesellschaftlichen Bewusstseinswandels - ein großes Schul- gebäude, das „Volksschule“ genannt wurde.

Die Leibeigenschaft der Bevölkerung war seit der Jahrhundertwende beseitigt, und die Ideen der Revolution von 1848 kündeten von einer neuen, einer demokratischen Zukunft. Von der einst fürstbischöflichen Stadt und Burg waren schon damals nur mehr die Reste der Festungsmauer verblieben. Heute geben sie uns den willkommenen Anlass, an das Aufbauwerk der Jockgrimer und Schweinheimer Einwohner vor 650 Jahren zu erinnern. Die Backsteine der Ziegelhütte brachten der Bevölkerung mehr Sicherheit in Kriegszeiten, einen gewissen Schutz vor obrigkeitlicher Willkür und bescheidene wirtschaftliche Verbesserungen. Doch als Arbeitgeberin konnte erst die Ziegelfabrik Ludowici eine entscheidende Rolle spielen. Sie trug dazu bei, dass sich der Ort auf der Hochuferterrasse entfaltete und aus dem Ziegen- oder Bauerndorf ein Ziegler-, schließlich ein „Künstlerdorf“ wurde.

Mit diesem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandel entwickelte sich ein neues Selbstverständnis und, so scheint es, ein neues Gemeinschaftsbewusstsein. Die großartigen Beiträge zur Feier des 750-jährigen Ortsjubiläums im vergangenen Jahr waren dafür ein lebendiges Zeugnis. Auch das bevorstehende Hinterstädtelfest mit seiner über 30-jährigen Tradition will den Gemeinschaftsgedanken fördern. Das Gewordene kann aber nur der wirklich verstehen und sinnvoll gestalten, der sich das Gewesene bewusst gemacht hat. Deshalb wollte ich mit diesem Vortrag und einem Modell des alten Hinterstädtels auch an dessen Anfänge erinnern, an die Entstehung des Städtchens und seiner alten St. Dionysius-Kirche unter der Herrschaft des Bischofs von Speyer. Dieses Wissen um die historischen Wurzeln möge nicht nur dem Denkmalschutz dienen, sondern auch der geschichtsbewussten Pflege von Kunst und Kultur in Jockgrim.

Copyright © 2016 Text und Grafiken: Dr. Dieter Rasimus

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